Geschrieben von Tamar Brosh (Msc)
“Wenn man einmal den Glanz des Glücks auf dem Gesicht eines geliebten Menschen erblickt hat, weiß man, dass ein Mensch keine andere Berufung haben kann, als dieses Licht auf den ihn umgebenden Gesichtern zu erwecken. In der Tiefe des Winters lernte ich schließlich, dass in mir ein unverdrängbarer Sommer lag.” Albert Camus
Dieses Zitat fängt so schön ein, wie ich mich fühlte, als ich als Ausbilder mit der Ausdehnungsmethode zunächst an mir selbst und dann mit anderen Menschen zu arbeiten begann. Die Menschen kamen für gewöhnlich traurig, ängstlich, besorgt oder deprimiert in meine Klinik, und nach der Sitzung verließen sie mich dann wieder strahlend, lächelnd, glücklich und so entspannt und beruhigt. Es lag nicht daran, dass ich magische Fähigkeiten hätte, die ihnen Streiche spielten, oder ich etwa ein Hypnotiseur wäre. Es ging nicht wirklich um mich. Es lag alles an dieser Kraft, unsere Perspektive zu verändern, und an den Wundern, die geschehen können, wenn wir unsere Sicht erweitern und die Dinge in einem anderen Licht sehen können. Es wurde Teil meiner persönlichen Berufung, Menschen dabei zu helfen, diesen Wandel zu vollziehen, damit ich immer wieder dieses Licht auf ihren Gesichtern sehen kann.
In schlimmen Geschichten stecken bleiben
Oft ist das Leid, das wir empfinden, darauf zurückzuführen, dass wir in einer bestimmten Weltsicht stecken geblieben sind. Wir tragen viele bewusste und unbewusste Überzeugungen in uns, die unsere Realität bestimmen und unsere innere emotionale Atmosphäre schaffen. Und selbst wenn wir rational wissen, dass wir anders denken sollten oder wir auch ein paar Tage lang versuchen, an einem positiveren Ansatz festzuhalten, hält er nicht und wir fallen in unsere bekannte Negativität zurück. Wir identifizieren uns mit unserer Lebensgeschichte und erzählen sie uns immer wieder in unserem Kopf, als ob wir dafür sorgen würden, dass unsere Erzählung intakt und unverändert bleibt, auch wenn wir uns dabei schlecht fühlen.
Eine Frau aus meiner Klinik litt unter einem geringen Selbstwertgefühl. Sie war eine erfolgreiche Managerin in einer High-Tech-Firma. Sie hatte Macht, Autorität und verdiente viel Geld. Dennoch litt sie unter der Oberfläche an einer großen Angst und einem Mangel an Selbstwertgefühl. Als ich sie in einer Sitzung, in der wir an ihrer Lebensgeschichte arbeiteten, fragte, welche Schlagzeile oder welchen Namen sie ihr geben würde, sagte sie: “Die Geschichte einer Hochstaplerin, die dabei ist, enttarnt zu werden”. Das war ihre gesamte Wahrnehmung in einer Essenz ausgedrückt. Sie hatte immer Angst, die Welt würde herausfinden, dass sie nur vortäuscht, erfolgreich und mächtig zu sein. Für sie fühlte sich nichts davon real an.
Die Ausdehnungsmethode, die von Shai Tubali vor über zehn Jahren entwickelt wurde, kann uns schnell und methodisch von einem Geisteszustand in einen anderen bringen. Es ist, als ob man einen kurzen Flug macht und sich vom Boden aus, wo die Dinge auf eine bestimmte Art und Weise erscheinen und sich anfühlen, auf die Ebene jenseits der Wolken bewegt, wo die Sonne ewig scheint und nichts das Licht blockiert. Als ich meine Klientin anleitete, ihre Lebensgeschichte so auszudehnen, ging sie in einigen Zyklen der Ausdehnung vom Gefühl des inneren Terrors in einen goldenen Lichtzustand über. Als ich sie bat, ihre Erzählung von diesem goldenen Lichtzustand aus zu betrachten, erzählte sie plötzlich eine ganz andere Geschichte. Die meisten trockenen Fakten blieben gleich, aber die Art und Weise, wie sie sich selbst und ihr Leben dabei empfand, verlagerte sich von der Geschichte eines Opfers ihrer eigenen Ängste zu jemandem, der fähig, engagiert und fast schon heldenhaft in ihrem ständigen Versuch ist, sich nicht von ihren Ängsten beherrschen zu lassen und in ihrem Leben erfolgreich zu sein.
Ist Aschenputtel eine Prinzessin oder eine Sklavin?
Eine Sache, die mir an der Geschichte von Aschenputtel gefiel, war, dass sie, egal wo sie war – ob nun als Sklavin in der Küche oder im Palast beim Tanz mit dem Prinzen – immer dasselbe für sich empfand. Sie war im Allgemeinen eine Optimistin und hatte eine positive Einstellung. Sie hätte ein jämmerliches Opfer ihrer Stiefmutter und ihrer Schwestern sein können, aber sie vertrat eine bejahende Perspektive.
Die Frage ist also: Sind wir die Prinzessin oder die Sklavin? Wie nehmen wir uns selbst und unser Leben wahr?
Wenn wir geneigt sind, unsere Geschichte aus einem begrenzten und benachteiligten Blickwinkel zu erzählen, aus der Perspektive des Unterlegenen oder des Opfers, müssen wir als ersten Schritt unsere Geschichte in die „Version von Überwindung” ändern. Die Überwindung ist die Erzählung, die die Schwachpunkte, die Nöte und die Herausforderungen anerkennt, aber den wachsenden und überwindenden Teil betont. Wir können sie in der Art und Weise finden, wie manche Menschen auf ein traumatisches Ereignis reagieren. Sie nutzen das traumatische Ereignis, um stärker zu werden, und sie
setzen sich gegen die negativen Auswirkungen des Traumas durch. Sie erfreuen sich besserer Beziehungen, haben eine tiefere Wertschätzung des Lebens. Sie spüren, dass sie mehr Möglichkeiten haben und wachsen oft auch spirituell. In der Positiven Psychologie wird es “posttraumatisches Wachstum” oder PTG genannt. Wenn wir intensive Traumata erleiden können und trotzdem auf der anderen Seite dieses dunklen Tunnels stärker und stärker mit dem Leben verbunden herauskommen, können wir jede Geschichte der Schwäche in eine Geschichte des Triumphes verwandeln.
Über die Geschichte hinausgehen
Die Ausdehnungsmethode ist eine großartige Möglichkeit, unsere Perspektive zu erweitern und an Einsicht und Freiheit zu gewinnen. Sie ermöglicht eine tiefgreifende und transformative “Verlagerung” aus der Perspektive der Begrenzung und des Leidens hin zu einer stärker ausgewogeneren Weltsicht mit mehr Möglichkeiten und Fähigkeiten. Aber die Ausdehnungsmethode bietet einen noch größeren Schritt. Sie kann uns helfen, einen Bewusstseinszustand zu erreichen, der über die persönliche Geschichte hinausgeht. Sie hilft uns, uns mit einem Zustand des ewigen Gleichgewichts zu verbinden, der über die Höhen und Tiefen, die Traumata und die Überwindung hinausgeht. Wenn wir mit einem
solchen Zustand in Kontakt kommen, erstreckt sich unsere Geschichte weit über das Persönliche und Begrenzte hinaus. Sie enthält die ganze Existenz und schließt alles ein, was ist und was sein kann. Unsere persönliche und vorübergehende Geschichte ist weiter darin enthalten, doch sie ist nur ein kleiner Teil eines grenzenlosen Ganzen. Unsere Perspektive kann sich so dramatisch verändern, dass sie nicht länger in vorübergehenden Umständen und Ereignissen gefangen ist.
Als ich mit meiner Klientin noch weiter über dieses goldene Licht hinaus ausdehnte, erreichte sie einen Zustand, den sie "Ewigkeit" nannte. Als ich sie dann bat, ihre Geschichte noch einmal zu erzählen, sagte sie einfach: "Ich bin nur ein winziger Stern, der am endlosen Himmel leuchtet, nicht besser oder schlechter als alle anderen Sterne. Wir alle leuchten und versuchen unser Bestes, und wir sind nie schuld. Mein persönliches Leben ist in diese Gnade eingebettet, und es gibt keinen Grund mehr zu vergleichen oder mich zu fürchten“.
Dieser radikale Perspektiv-Wechsel ermöglichte es meiner Klientin, in ihrem Heilungsprozess einen großen Schritt nach vorn zu machen. Sie konnte nach und nach ihre innere Angst loslassen und fühlte sich nicht länger als Schwindlerin. Sie änderte ihre Schlagzeile in: “Ein kleiner Stern am Himmel, der wie alle anderen Sterne leuchtet.“
Dies ist also meine Empfehlung an euch: Schreibt eure Lebensgeschichte so auf wie ihr sie wahrnehmt. Stellt euch dann vor, ihr fahrt mit dem Aufzug auf das Dach eines sehr hohen Gebäudes und schreibt von diesem erhöhten Standpunkt aus eure Geschichte erneut auf. Achtet darauf, ob es Unterschiede gibt. Und wenn ihr versuchen wollt, noch einen Schritt weiter zu gehen, könnt ihr euch vorstellen, dass ihr über den Wolken fliegt, eurer Leben betrachtet und dann eure Geschichte noch einmal schreibt. Wählt von nun an ganz bewusst diejenige Version als eure neue Erzählung, die sich am wahrhaftigsten und
ermächtigendsten anfühlt.
“Ich bin nur ein winziger Stern, der am endlosen Himmel leuchtet, nicht besser oder schlechter als alle anderen Sterne. Wir alle leuchten und versuchen unser Bestes, und wir sind nie schuld. Mein persönliches Leben ist in diese Gnade eingebettet, und es gibt keinen Grund mehr zu vergleichen oder mich zu fürchten“.
How wonderful! Thank You for sharing this gem!
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